Die Studienfinanzierung im Spannungsfeld von Berufsausbildung und Forschungsinteresse

von Ekkehart Schlicht
aus 'Einsichten' 1996/1, S.48-50.

Die Hochschulausbildung steht im Spannungsfeld von Berufsausbildung und Forschungsinteresse. Sollte sie eher berufsbezogen sein oder vornehmlich rein wissenschaftliche Interessen verfolgen? Zugleich stellt sich die Frage nach der Finanzierung. Sollte die Universitätsausbildung rein privat finanziert werden, oder sollte der Staat einen Teil der Kosten der Universitätsausbildung übernehmen? Diese Fragen stehen in engem Zusammenhang. Eine rein berufsbezogene Universitätsausbildung sollte nicht öffentlich finanziert werden. Eine öffentliche Finanzierung der Hochschulausbildung ist nur in dem Maße geboten, wie sie nicht der Berufsausbildung dient. Nur gesellschaftlicher Nutzen, der sich nicht in Einkommen umsetzen läßt, rechtfertigt öffentliche Aufwendungen. Alles, was 'der Markt verlangt' verdient keine öffentliche Unterstützung. Dies soll im folgenden in vereinfachter Form erläutert werden.

Um die grundsätzliche Problematik möglichst klar zu erfassen, ist es sinnvoll, zunächst die beiden hypothetischen Extremfälle einer reinen Berufsausbildung einerseits und einer rein wissenschaftlichen Ausbildung ohne jeden Berufsbezug andererseits zu erörtern. Darauf aufbauend kann dann der realistische Fall betrachtet werden, bei dem Berufsausbildung und rein akademisches Interesse miteinander untrennbar verschränkt sind.

Reine Berufsausbildung

Zunächst sei also der (hypothetische) Extremfall eines Universitätsstudiums betrachtet, welches allein der Berufsausbildung dient. Die bei einem solchen Studium anfallenden Kosten werden zum Teil privat und zum Teil öffentlich getragen. (Gesamtkosten = Private Kosten + öffentliche Kosten). Die privaten Kosten ergeben sich hauptsächlich aus dem Verdienstausfall des Studenten während der Studienzeit. Diese Kosten sind private Investitionen in das Studium, die sich durch spätere höhere Einkünfte amortisieren sollen. (Die Lebensunterhaltsaufwendungen sind in diesem Sinne keine durch das Studium verursachten Kosten, denn sie fallen in jedem Fall an.) Die öffentlichen Kosten bestehen vorwiegend aus den staatlichen Aufwendungen für die Finanzierung der universitären Lehre und gegebenenfalls für Ausbildungsbeihilfen an die Studierenden.

Man kann nun fragen, welcher Anteil der gesamten Ausbildungskosten staatlich getragen werden sollte. Im Fall reiner Berufsausbildung ist die Antwort einfach: Es sollte keine staatliche Subventionierung der universitären Berufsausbildung erfolgen; es besteht kein Unterschied zwischen einer universitären und einer nichtuniversitären Berufsausbildung, der eine höhere Subventionierung der universitären Berufsausbildung rechtfertigen würde.

Wenn der Staat die universitäre Ausbildung aus öffentlichen Mitteln unterstützt, werden bei gegebenen Gesamtkosten der Universitätsausbildung die privaten Kosten der Ausbildung gesenkt. Es werden mehr Studenten studieren. Die vergrößerte Zahl der Akademiker trifft auf ein begrenztes Angebot von hochdotierten Stellen. Ein Teil der Absolventen wird deshalb Stellen annehmen, für die eine akademische Ausbildung eigentlich nicht erforderlich ist. Ein Diplombetriebswirt übernimmt eine Tätigkeit in der Buchhaltung. Einige Jahrzehnte zuvor hätte für eine solche Stelle die Mittlere Reife genügt. Nicht akademisch ausgebildete Bewerber werden von Akademikern verdrängt. Die Unternehmungen geben den höherqualifizierten Bewerbern auch dann den Vorzug, wenn die volkswirschaftlichen Kosten des Studiums wesentlich höher sind als die Aufwendungen für eine alternative betriebsinterne Schulung von Bewerbern 'on the job'. Weder die Unternehmungen noch die Studenten haben die vollen Kosten der Ausbildung zu tragen. Deshalb wird ein Studium auch dann gewählt, wenn die Erträge aus dem Studium in keinem Verhältnis zu den Kosten des Studiums stehen. Dies Argument gilt nicht nur für Buchhalter, sondern für alle praxisbezogenen Studiengänge. Gäbe man den Studenten die staatlichen Aufwendungen, die für sie aufgebracht werden, bar auf die Hand und ließe sie dann das Studium voll privat bezahlen, so würden nur diejenigen ein Studium wählen, die die Bildungsinvestition für sinnvoll erachten. Die anderen würden es vorziehen, nicht zu studieren, weil die Kosten über den Erträgen liegen. Die Entscheidung, nicht zu studieren, wäre volkswirtschaftlich sinnvoll. Durch eine staatliche Subventionierung entsteht ein falscher Ausbildungsstand. Durch Senkung der Ausbildungszahlen würden mehr Kosten gespart als Produktionswert verloren geht.

Die Subventionierung der universitären Berufsausbildung kommt drei Gruppen zugute: Erstens den Akademikern, für die die privaten Ausbildungskosten gesenkt werden, zweitens den Unternehmungen, die sich einem vergrößerten Angebot hochqualifizierter Bewerber gegenübersehen, und drittens den Konsumenten, für die sich Preise von Produkten senken, welche zu ihrer Herstellung viel Akademikerarbeit benötigen. Aber alle drei Effekte sind unerwünscht:

Soweit die Subventionierung der Universitäten den Akademikern zu Gute kommt, handelt es sich um eine Subventionierung der durch Intelligenz und Milieu ohnehin Privilegierten aus allgemeinen Steuermitteln. Dies läßt sich aus Gerechtigkeitsüberlegungen heraus kaum vertreten. Soweit die Subventionierung den Unternehmungen zu Gute kommt, macht sie Akademikerarbeit oder Akademikerqualifikation zu billig und führt dazu, daß Akademiker auch für Tätigkeiten eingesetzt werden, für die sie überqualifiziert sind. Dies ist eine Verschwendung, die niemandem zu Gute kommt. Soweit die Subventionierung zur Senkung von Preisen solcher Produkte führt, die viel Akademikerarbeit erfordern, lenkt dies die Nachfrage in unerwünschte Weise auf diese Produkte. Wenn z.B. ein technisches Gerät (mit viel Akademikerarbeit) unsubventioniert genau so teuer ist wie ein Urlaub (mit viel Dienstleistungen von Nichtakademikern), so wird der Marktpreis des technischen Produkts geringer sein, da hier Subventionen für die Akademiker einfließen, nicht aber beim Urlaub. Ein Nachfrager, der bei gleichem Preis von technischem Produkt und Urlaub den Urlaub vorziehen würde, könnte nun durch den geringeren Preis des technischen Produkts veranlaßt werden, das technische Produkt zu kaufen. Dies wäre volkswirtschaftlich schlecht, denn die volkswirtschaftlichen Kosten des Urlaubs sind gleich denen des technischen Produkts; der Urlaub wird aber vorgezogen, also sollte er auch gewählt werden. Der Subventionsaufwand ist größer als der Subventionsertrag. Die Subventionierung der Universitätsausbildung, soweit sie sich auf Güterpreise auswirkt, verzerrt die Konsumentscheidungen in unerwünschter Weise.

Als Schlußfolgerung ergibt sich, daß im Fall einer reinen Berufsausbildung eine staatliche Beihilfe zur Ausbildungsfinanzierung nicht angebracht ist. Wichtig wäre dann, den Studenten die Möglichkeit zu bieten, über Kreditaufnahme ihr Studium selbst zu finanzieren. Dies ist in Hinsicht auf die Studenten, die ansonsten aus finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten müßten, von besonderer Bedeutung. Da der Erfolg des Studiums ungewiß ist, liegt es nahe, die Finanzierung mit einer Versicherung zu verknüpfen, etwa in der Form, daß die Rückzahlung in Abhängigkeit vom späteren Einkommen erfolgt, etwa nach dem Schema, daß pro Jahr Universitätsstudium ein gewisser Prozentsatz der Einkommenssteuer als Akademikerzuschlag erhoben wird. Die 'Großverdiener' müßten dann viel zurückzahlen, die 'Kleinverdiener' weniger. Neuere Vorschläge greifen diese alte - und im Rahmen einer berufsorientierten Universitätsausbildung sehr sinnvolle Idee - einer 'Akademikersteuer' in verschiedener Weise auf.

Rein wissenschaftliche Ausbildung

Als nächstes sei der andere ebenso hypothetische Extremfall betrachtet, daß das Universitätsstudium allein wissenschaftlich orientiert ist, ohne jede Konsequenz für das spätere Einkommen. Ein solches Studium kann sinnvoll sein. Ein neuer mathematischer Satz, eine neue philosophische Konzeption, eine fundamentale Aufarbeitung der Geschichte, eine neue paläontologische Entdeckung - alles dies sind Beiträge zur Entwicklung der Kultur einer Gesellschaft (und der Menschheit) die für die Gesellschaft von großer Bedeutung sind. Sie haben zwar keinen Marktwert, aber sie nutzen sich niemals ab und bilden den Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen. Hier geht es um das Selbstverständnis einer Gesellschaft und um die Reflexion über die Grundlagen menschlicher Existenz. Aber auch viele 'angewandte' Erkenntnisse, die der Allgemeinheit dienen, können nicht über den Markt vermittelt werden. Ein volkswirtschaftliche Erkenntnis, eine pädagogische Einsicht, ein überzeugender juristischer Schluß, ein mathematisches Verfahren - all dies läßt sich nicht patentieren, obgleich der gesellschaftliche Nutzen außerordentlich groß sein kann. Insoweit gesellschaftlicher Nutzen aus diesen Tätigkeiten zu erwarten ist, ist eine öffentliche Finanzierung sinnvoll und geboten.

Man kann sich nun ein Studium vorstellen, das keinerlei Berufsrelevanz hat. Vom Studenten eines solchen Faches ist nicht zu erwarten, daß er die Wissenschaft voranbringt. Vielmehr wird er im Laufe seines Studiums gerade so weit gebracht, daß er neuere Forschungsarbeiten lesen kann und ein eigenes Forschungsprojekt beginnen könnte.

Ein solches rein akademisches Studium wäre nur in dem Maße gesellschaftlich sinnvoll, wie es die Ausbildung des Forschernachwuchses zum Ziel hätte. Die Sinnhaftigkeit der rein akademischen Forschung überträgt sich auf das forschungsorientierte Studium. Das heißt nicht, daß alle Absolventen in die Forschung übernommen werden müßten, denn bei den meisten Studierenden wird sich erst im Laufe des Studiums herausstellen, ob sie für wissenschaftliche Forschung geeignet sind. Ein Argument für eine rein akademische Ausbildung liegt in ihrer Bedeutung für die Aufrechterhaltung einer Forschungskultur. Dies rechtfertigt staatliche Förderung.

Darüber hinaus ist auch denkbar, daß ein rein akademisches Studium insofern für die Allgemeinheit von Bedeutung ist, als es einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung eines kulturellen Milieus liefert. Es mag angenehmer sein, in einer Gesellschaft von Menschen mit geistigen Interessen zu leben als zum Beispiel in einer Gesellschaft mit rein materieller Orientierung. In dem Maße, wie die wissenschaftliche Ausbildung zur Qualität einer Gesellschaft beiträgt, verdient sie staatliche Förderung. Ein zweites Argument für eine rein akademische Ausbildung liegt in der kulturellen Bedeutung einer solchen Ausbildung. Auch dies rechtfertigt staatliche Subventionierung.

Berufsausbildung und wissenschaftliche Ausbildung zugleich

Eine einfache Schlußfolgerung aus dem bisher dargelegten wäre, daß die öffentliche Subventionierung der Universitätsausbildung nur in dem Umfange zu rechtfertigen ist, wie sie dem Allgemeininteresse dient. Alles, was sich im Markt in Einkommen umsetzen läßt, verdient keine öffentliche Unterstützung. Dies soll im folgenden kurz erläutert werden.

Im Universitätsstudium sind die beiden Aspekte, Berufsausbildung und wissenschaftliche Ausbildung, untrennbar miteinander verflochten. Die akademische Lehre hilft den Professoren, wissenschaftliche Fragestellungen zu klären und bietet damit eine wesentliche Grundlage für die Forschung. Zugleich ist eine rein wissenschaftliche Ausbildung oft zugleich die beste Berufsausbildung. Wie stellt sich die Finanzierungsproblematik im Fall einer solch engen Verknüpfung der beiden Aspekte?

Sei einmal angenommen, daß eine rein wissenschaftliche Ausbildung zugleich die beste Berufsausbildung ist. In diesem Fall wird in einem privaten Universitätssystem rein wissenschaftliche Ausbildung als Berufsausbildung angeboten werden. (Diese Entwicklung gibt es tatsächlich bei den bedeutenderen privaten Business Schools überall auf der Welt.) Als Nebeneffekt ergeben sich neue Forschungsergebnisse und ein Beitrag zur kulturellen Entfaltung einer Gesellschaft. Der volkswirtschaftliche Nutzen einer solchen Ausbildung überschreitet den markt- und einkommensmäßigen Nutzen gerade um den Teil, der nicht marktmäßig zu realisieren ist und sich nicht in Einkommen umsetzt. In diesem Ausmaß ist eine öffentliche Subventionierung geboten.

Der andere denkbare Fall wäre, daß die Berufsausbildung die Forschung erleichtert. In diesem Fall würde der Ertrag der Berufsausbildung sich aus dem privaten Ertrag, wie er sich in höheren Einkommen niederschlägt, und der Ausstrahlung auf die Forschung zusammensetzen. Der private Teil kann dann privat finanziert werden. Darüber hinaus müßte öffentlich in dem Maße subventioniert werden, wie der Markt günstige Auswirkungen auf die Forschung und wissenschaftliche Kultur nicht honoriert.

Letztlich ergibt sich die klare Folgerung, daß eine öffentliche Finanzierung der Universitätsausbildung nur in dem Maße gerechtfertigt ist, wie sie sich nicht in Berufsqualifikation, Produktionszuwächse und Einkommen ummünzen läßt. Diese Position steht im Widerspruch zur Betonung von Praxisnähe im Studium, wie sie allenthalben geäußert wird, auch und gerade von Interessengruppen, die ansonsten marktwirtschaftliche Standpunkte vertreten. Es ist klar, daß die Unternehmungen eine staatlich finanzierte Berufsausbildung wünschen, denn das spart Kosten. Eine solche Entwicklung führt aber zu schädlichen Preisverzerrungen und zu nicht sinnvollem Einsatz von Akademikern in den Betrieben. Wenn 'der Markt' eine bestimmte Ausbildung 'verlangt', ist dies also ein Hinweis darauf, daß keine öffentlichen Mittel in diese Ausbildungsgänge gesteckt werden sollten. Die Berufschancen der Absolventen in der Privatwirtschaft sind kein Argument für den verstärkten Ausbau entsprechender Studiengänge an öffentlichen Universitäten. Forderung, daß das Hochschulstudium wesentlich berufsbezogen sein müsse, entpuppt sich so letztlich als Artikulation wirtschaftlicher und politischer Interessen, die eine Subventionierung bestimmter Wirtschaftszweige, Tätigkeitsfelder oder Personengruppen bezwecken - letztlich zu Lasten der Allgemeinheit.




 

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