Meine Ansicht

 

"Viele Arbeitslose finden keine Stelle, weil sie zu gering qualifiziert sind"

Wie schon an anderer Stelle bemerkt ist es klar, dass bei einer zu geringen Zahl von Arbeitsplätzen bevorzugt die besser qualifizierten Bewerber eingestellt werden und dementsprechend die weniger qualifizierten Bewerber leer ausgehen. Die Beschäftigungsaussichten des einzelnen Arbeitsuchenden sind im wesentlichen eine Frage seiner relativen und nicht seiner absoluten Qualifikation. Wenn sich jemand höher qualifiziert und deshalb eine Stelle bekommt, verdrängt er damit einen anderen Bewerber, der sonst eine Stelle erhalten hätte.
 

Tatsächlich ist die Qualifikationsstruktur unserer Arbeitslosen aber deutlich besser als die in den USA (oder auch Großbritannien). Die wichtigsten und genauesten Untersuchungen zu diesem Thema stammen von Richard Freeman und Ronald Schettkat und belegen dies eindrucksvoll. Ein Vergleich der Qualifikationsstruktur von Beschäftigten Arbeitslosen findet sich in der folgenden Graphik.



(Quelle: Schettkat 2003 nach Freeman-Schettkat 2001, mit freundlicher Genehmigung von Ronald Schettkat.)


Man sieht, daß die Qualifikationsstruktur der Arbeitslosen im Vergleich zu der der Beschäftigten in den USA deutlich ungünstiger ist als bei uns. Die Autoren bemerken dazu:

Arbeitslose Deutsche haben eine ähnliche Qualifikationsstruktur wie Deutsche mit Beschäftigung und wie amerikanische Beschäftigte im mittleren Bereich der Qualifikationsverteilung. Arbeitslose Amerikaner haben dagegen eine niedrigere Qualifikation als beschäftigte Amerikaner. (Freeman-Schettkat 2001, S. 3)

Verwendet man die OECD-Daten, so ergibt sich ein ähnliches - wenn auch etwas weniger klares Bild. Die OECD-Daten lassen nämlich keine saubere Berechnung der Anteile qualifikationsspezifischer Gruppen an der gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosigkeit zu (Daten zur Qualifikation der Labour Force sind nur geschlechts-unspezifisch, die qualifikationsspezifischen Arbeitslosigkeitsraten jedoch nur geschlechts- spezifisch angegeben). Daher muss hier eine etwas weniger plastische Darstellung der Qualifikationsstruktur der Arbeitslosigkeit genügen: die qualifikationsspezifischen Arbeitslosigkeitsraten werden jeweils durch die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeitsrate geteilt – dieser Quotient lässt sich für verschiedene Volkswirtschaften vergleichen. So ergibt sich beispielsweise, dass bei den Männern die Arbeitslosenquote der Niedrigqualifizierten in Deutschland und USA 2,0 Mal über der gesamtwirtschaftlichen Quote liegt, während dieser Faktor in UK bei 2,3 liegt – Niedrigqualifizierte sind also in Deutschland im Vergleich zu USA und UK nicht in der Arbeitslosigkeit überrepräsentiert.

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Allerdings muss man diese Vergleich mit Vorsicht genießen: Im OECD-Vergleich liegt Deutschland zwar hinter den USA und Großbritannien, aber ziemlich weit oben. Die Länder, in denen die gering qualifizierten am wenigsten von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, sind die Türkei, Griechenland, Korea, Portugal, und - an unterster Stelle - Mexiko. Woran das genau liegt ist schwer zu sagen. Möglicherweise bedeuten Kategorien wie  "Lower Secondary Education" überall etwas anderes heißt, und wahrscheinlich ist die statistische Erfassung von Arbeitslosigkeit in verschiedenen Ländern unterschiedlich. Die Untersuchungen von Freeman und Schettkat stützen sich auf einheitliche Messvorschriften und vermeiden deshalb diese Probleme.
 

Es sei vermerkt, daß die OECD-Daten in gewissem Widerspruch zur überraschenden Behauptung von Freeman und Schettkat stehen, die  Qualifikationsstruktur der Arbeitslosen in Deutschland sei ähnlich wie die der Beschäftigten.
 

Wie dem auch sei, die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist aber in keinem Fall auf mangelnde Qualifikation der Arbeitslosen zurückzuführen
 

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Kommentierung und Aufarbeitung und
graphische Darstellung der OECD-Daten
in Zusammenarbeit mit Tobias Lampe

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Literaturhinweise
 

OECD: "Education at a Glance", Quelldaten als Excel-Datei:
 

Ronald Schettkat: "Reformen in Deutschland: zu wenig, zu spät?", WSI Nachrichten, 5, 2003,
S. 267-74.
 

Richard Freeman und Ronald Schettkat, "Skill Compression, Wage Differentials and Employment: Germany vs. the US", Working Paper 7610, National Bureau of Economic Research, März 2000.
 

Richard Freeman und Ronald Schettkat: "The Role of Wage and Skill Differences in US-German Employment Differences", Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Juli 1999; 219(1-2): S. 49-66
 

Richard Freeman und Ronald Schettkat: "Skill Compression, Wage Differentials, and Employment: Germany vs the US", Oxford Economic Papers. Juli 2001; 53(3): S. 582-603

 

 

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Februar 2004

 



 

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